Antisowjetische Agitation und Propaganda
IV Die sowjetische Besatzung und der Kalte Krieg

„Antisowjetische Agitation und Propaganda“ – ein stark ideologisch geprägter Begriff, der seit den 1920er Jahren in die Strafgesetzgebung der UdSSR Eingang fand und in politischen Prozessen zu den am häufigsten verwendeten Paragraphen zählte. Im Strafgesetzbuch der KPdSU von 1926 wurde die Verantwortlichkeit für „antisowjetische Agitation und Propaganda“ in Artikel 58 festgelegt.

Nach der Besetzung Lettlands im November 1940 wurde dieses Strafgesetzbuch auch in Lettland rückwirkend eingeführt. 1961 wurde das Strafgesetzbuch der Lettischen SSR verabschiedet und trat in Kraft. Artikel 65 sah darin die Strafbarkeit von „antisowjetischer Agitation und Propaganda“ vor. Die in diesem Artikel festgelegte Strafe umfasste „Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu sieben Jahren“ sowie „Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren“. Für Personen, die zuvor wegen „besonders gefährlicher Staatsverbrechen“ verurteilt worden waren, sah der zweite Teil von Artikel 65 zusätzlich zu einer Haftstrafe von zwei bis fünf Jahren sogar eine Freiheitsstrafe von „drei bis zehn Jahren“ vor.

Die letzten politischen Strafverfahren im Strafverfahrensbestand des KGB im Lettischen Staatsarchiv datieren aus dem Jahr 1986. Dem KGB gelang es, um die Wende von den 1980er zu den 1990er Jahren eine große Anzahl von Dokumenten nach Russland zu schaffen oder zu vernichten.

Weitere Informationsquellen

Politische Prozesse im besetzten Lettland 1983. Virtuelle Ausstellung. Lettisches Nationalarchiv, 2013. http://www.archiv.org.lv/1983/index.php?id=303

Gints Zelmenis, Bruno Javoišs, Ivo Grundulis. Nationale Widerstandsbewegung in Lettland von 1959 bis 1986. Riga, 2019.

Jānis Ķeruss: Die Wende der Tscheka gegen antisowjetische Propaganda und Agitation. Analyse von 1957. https://www.lu.lv/vdkkomisija/zinas/t/23701/

Māra Miķelsone. Historiker Zelmenis: Das totalitäre Regime reagierte sogar auf symbolische Handlungen. Ir., 16. September 2019. https://ir.lv/2019/09/16/vesturnieks-zelmenis-totalitarais-rezims-bija-jutigs-pret-simboliskam-akcijam/

Zugehörige Objekte

Lettisches Okkupationsmuseum

Die Museumsausstellung beleuchtet die Geschichte Lettlands von 1940 bis 1991, also die nationalsozialistische und die sowjetische Besatzungszeit.  

Das „Haus der Zukunft“ ist ein Projekt des renommierten lettisch-amerikanischen Architekten Gunārs Birkerts zur Renovierung und Erweiterung des lettischen Okkupationsmuseums sowie zur Schaffung einer neuen Ausstellung. Die Ausstellung „Die Geschichte des KGB in Lettland“ befindet sich im sog. Eckhaus, dem ehemaligen Gebäude des Staatssicherheitskomitees der UdSSR (KGB). Das Lettische Okkupationsmuseum wurde 1993 gegründet. 

Es erinnert an die lange verdrängte Geschichte Lettlands: den Staat, sein Volk und das Land unter zwei totalitären Mächten von 1940 bis 1991. 

2020 umfasste der Museumsfundus mehr als 70000 Objekte (Dokumente, Fotos, schriftliche, mündliche und materielle Zeitzeugnisse, Gegenstände und Erinnerungsstücke). Museumsmitarbeiter haben mehr als 2400 Videozeugnisse aufgezeichnet – eine der größten Sammlungen zum Phänomen Besatzung in Europa. Die Ereignisse, die über die Menschen in Lettland, Litauen und Estland hereinbrachen, sind ein lebendiges Zeugnis für die Erfahrungen der Völker zwischen zwei totalitären Regimen.

 

Ausstellung zur Geschichte des KGB in Lettland im sog, “Eckhaus”

Das Gebäude der ehemaligen „Tscheka“ – des Staatssicherheitskomitees der UdSSR (später KGB) – in Riga ist heute öffentlich zugänglich. Hier wurden lettische Bürger von im Volksmund so genannten Tschekisten festgehalten, verhört und umgebracht, weil sie das Besatzungsregime als Gegner betrachtete. In dem Gebäude ist heute eine Ausstellung des Lettischen Okkupationsmuseums über die Aktivitäten des KGB in Lettland untergebracht. Es werden Führungen durch Zellen, Gänge, Keller und den Innenhof angeboten. Das Haus wurde 1911 erbaut und zählt zu den schönsten Bauten in Riga. Im Volksmund als „Eckhaus“ bekannt, wurde es zum schrecklichen Symbol des sowjetischen Besatzungsregimes in Lettland - eine der Stützen der Sowjetmacht. Die Tscheka nutzte das „Eckhaus“ während der sowjetischen Besatzung 1940/41 und dann erneut von 1945 bis 1991. Zehntausende Einwohner Lettlands waren von politischer Verfolgung direkt betroffen. Das harte Vorgehen gegen Gegner der sowjetischen Herrschaft wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Nach Stalins Tod änderten sich die Methoden des KGB unwesentlich. An die Stelle von physischer Folter trat nun Psychoterror. Die Mehrheit der Tscheka-Agenten bestand aus ethnischen Letten (52 %). Russen bildeten mit 23,7 % die zweitgrößte Gruppe. 60,3 % der Mitarbeiter gehörten nicht der Kommunistischen Partei an, 26,9 % verfügten über einen Hochschulabschluss. Das System war darauf ausgerichtet, die lokale Bevölkerung einzubinden und so die Kontrolle über die Gesellschaft zu erlangen. Die Korrespondenz und die Akten der KGB-Mitarbeiter befinden sich heute in Russland. Sie sind für lettische Behörden und Historikern nicht zugänglich.

Historische Ausstellung „Das Feuer des Gewissens“

Die historische Ausstellung „Das Feuer des Gewissens“ befindet in der Nähe des Schlossplatzes von Cēsis. Sie wurde in den Arrestzellen für Untersuchungshäftlinge aus der Sowjetzeit eingerichtet und informiert über die Okkupation Lettlands und über erstaunliche und mutige Beispiele des individuellen Widerstandes. Im Hof trägt eine Mauer des Gedenkens die Namen von 643 Einwohnern des ehemaligen Kreises Cēsis, die der sowjetischen Verfolgung zum Opfer fielen: Menschen, die 1941 oder 1949 deportiert wurden sowie erschossene oder zum Tode verurteilte nationale Partisanen. Eine Zeittafel veranschaulicht die Abfolge der Ereignisse in den Besatzungsjahren von 1939 bis 1957. Thematisch geordnete Ausschnitte aus Lokalzeitungen stellen die politische Propaganda beider Besatzungsregime gegenüber. Die sechs Arrestzellen für Untersuchungshäftlinge sind etwa in dem Zustand von 1940/41 und – wie in den Nachkriegsjahren üblich – erhalten. Hier waren Einwohner des Kreises Cēsis wegen verschiedener antisowjetischer Aktivitäten für einige Tage inhaftiert, deren Voruntersuchungen und Verhöre hier stattfanden, bevor sie in die Tscheka (KGB)-Zentrale nach Riga überstellt wurden, darunter nationale Partisanen, Partisanenunterstützer, Jugendliche, die „antisowjetische“ Flugblätter verteilt hatten und andere sog. „Vaterlandsverräter“. Hier ist alles original erhalten - die Arrestzellen nebst den mit Essens-Durchreichen ausgestatteten Eisentüren, Holzpritschen, ein Häftlingsklo, eine kleiner Küchenraum mit Herd und die typischen ölgestrichenen Wände der Sowjetzeit.

2019 gewann die Ausstellung den dritten Platz im alljährlichen nationalen Designwettbewerb Lettlands. 

Zugehörige Geschichten

Liepāja – am Schnittpunkt verschiedener historischer Ereignisse

Die Einwohner von Liepāja gehörten zu den ersten in Lettland, die den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erlebten, und zu den letzten, für die der Krieg sowohl buchstäblich als auch symbolisch endete. Der Zweite Weltkrieg und die sowjetische Besatzung von Liepāja endeten erst 1994, als die letzten Truppen des Erben der UdSSR, Russland, die Stadt verließen.