"Aber – wer hat schon ein Leben am Meer..." (Fragment)
Ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview mit Eriks Sēnis aus Ģipka. Er erzählt von seinen Lebenserinnerungen.
In Ģipka, Gemeinde Roja, am stillen Waldrand, steht ein Haus mit dem wunderbar charmanten Namen Putnumuiža. Das gepflegte Anwesen wird von Herrn Ēriks Sēnes und seiner Frau Marija bewirtschaftet – seine Frau wurde in Kolka gesehen, stammt aber selbst aus Valdemārpils. Kann man sich da noch als echte Zigeunerin bezeichnen?
Ja, das ist das Haus meines Vaters, Baujahr 1928. Schau, diese Eiche im Garten hat mein Vater gepflanzt und dient mir nun gewissermaßen als Blitzableiter, weil sie am Zusammenfluss der Flüsse steht. Mein Vater war sein Leben lang Fischer. Ich bin auch oft mit ans Meer gefahren, um nach den Netzen zu sehen – das war interessant.
Können Sie sich an irgendetwas aus beiden Berufen erinnern?
Wie hätte ich es auch nicht tun können? Obwohl ich noch ein Junge war, erinnere ich mich an den Einmarsch der Russen 1940. 1941 wurden meine Tante, ihr Mann und meine Cousine, die Familie Sturm, nach Sibirien deportiert. Meine Cousine starb dort. Der russische Zorn sollte nicht lange wüten. Bald darauf kamen die Deutschen. Während der deutschen Besatzung lebten zwei deutsche Offiziere in unserem Haus. Sie waren stets korrekt und standhaft. Ich erinnere mich, wie die deutschen Soldaten mich oft mit Schokolade verwöhnten. Als die Russen wieder Richtung Kurland vorrückten, wurden alle Küstenbewohner bis zu 20 km entfernt evakuiert. Wir landeten in Kaļķi. Nach Kriegsende zogen viele Männer in die Wälder. 1945 kehrten wir in das Haus meines Vaters zurück. Die Russen benahmen sich wie Räuber. Ich erinnere mich, dass russische Soldaten bei einer Misthaufen-Razzia meinem Vater die Taschenuhr von der Weste rissen und die Aluminiumtöpfe in unserer Küche nicht einmal anrührten. 1949 wurden die Besitzer von Vecvilki deportiert. 1954 wurde ich zum Militärdienst eingezogen und kehrte 1958 zurück – zu diesem Zeitpunkt war die sogenannte Grenzzone bereits eingerichtet. Die Fischverarbeitungsanlage in Ģipka blieb weiterhin in Betrieb. Diese Anlage existierte auch während der Unabhängigkeitszeit, und in Pūrciems gab es ebenfalls eine Fischwerkstatt, in der Šultmaņu Pauls als Vorarbeiter tätig war. In den 1960er-Jahren arbeitete ich als Elektriker bei „Banga“, ebenfalls in der Fischverarbeitungsanlage von Ģipka. Von 1962 bis 1980 war ich als Techniker am Navigationsleuchtturm von Ģipka tätig.
Erinnerst du dich an ein merkwürdiges Ereignis?
- Natürlich. Ich musste mal eine Autobiografie schreiben. Dann schickten sie mich nach Riga – zu den sogenannten Zbors. Statt zum Zbor brachten sie mich aber zur Kontrolle. Dort fragten sie, ob ich eine gewisse Elizabeth Rodriguez kenne. Ich sagte, ja, die kenne ich – sie war die Schwester meines Vaters (sie war nach Südamerika ausgewandert). Sie fragten noch einmal: Warum hätten Sie das nicht gemeldet? Ich antwortete, dass ich, solange die Schwester meines Vaters noch hier war, noch gut drauf war, zumindest nach Plan. Das reichte ihnen.
Dunlop-Gummistiefel wurden aus Schweden geschickt. Verärgert über die Grenzbeamten warf ich sie über den abgesperrten Strand ins Meer. Der Russe beäugt sie – ausländische Stiefel, da ist wohl jemand aus dem Meer gekrochen. Na toll, jetzt gibt es schon wieder ein großes Aufsehen …
Ich erinnere mich auch an die grünen Bälle im Ģipka-Club. Die Männer waren aufgewärmt, ihre Stimmung war ausgelassen – sie wollten unbedingt mit den Soldaten Spaß haben. Und das taten sie auch.
Gab es irgendwelche Absurditäten oder tragische Ereignisse?
Wie hätten wir nur ohne sie auskommen können? Nach dem Krieg waren alle Bunker und Schützengräben voller Patronen und Sprengstoff. Was brauchten die Jungs mehr? Wir machten ein Feuer, luden unser gesamtes Hab und Gut und uns selbst – unversehrt – hinein. Der Lärm war ohrenbetäubend. Leider ging nicht alles gut aus. Ich erinnere mich, dass Gustavsons Leonard der Arm von einer Granate abgerissen wurde. Zu Zeiten Russlands wurden täglich bis zu 50 Tonnen Fisch zu Fischmehl verarbeitet. Die Folgen spüren wir heute noch.
"BANGA" (Zeitung für die Nordkurleme-Küste), 26. April 2002; eingesandt von Inese Roze (Touristeninformationszentrum der Region Talsi)