Der Tagesablauf lettischer Schützen auf der Todesinsel

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2. Schützen des Rigaer Lettischen Schützenbataillons und Oberarzt Gerhard Feders (1. von links) im Unterstand des Lazaretts auf der Todesinsel. Sommer 1916

Die Memoiren schildern anschaulich den Alltag der Soldaten auf der Todesinsel.

Das Leben auf der Todesinsel war voller Entbehrungen und Schrecken. Nachts, wenn es dunkel wurde, bis zum Morgengrauen, wurden Kriegsmaterial und Lebensmittel ins Kampfgebiet gebracht, die Verwundeten und Gefallenen ans rechte Ufer. Eingestürzte Schützengräben und Verkehrswege, beschädigte Telefonleitungen wurden eilig repariert. Der Feind schlief nicht. Minen explodierten über den Schützengräben. Maschinengewehre feuerten. Nur ein Viertel der Garnison konnte kurz die Augen schließen. Der Rest musste wach bleiben. Erst im Morgengrauen wurde die Nachtwache abgelöst. Lebensmittel und abgekochtes Wasser wurden um 10 Uhr und 18 Uhr in großen Behältern zu den ersten Schützengräben gebracht. Trotz des schrecklichen Lebens in den Wachposten der Todesinsel waren die Schützen stets guten Mutes. Sie versuchten auf jede erdenkliche Weise, Abwechslung und Freude in den anstrengenden Stellungskrieg zu bringen. Obwohl die Schützen in den Felsen zwischen den Schützengräben lebten und sich in den Boden gruben, lauerte der Tod im Schatten, in den Höhlen und Unterständen ihres Landes, selbst in den Gartenblumen und scheuen Gärten. Die Schönheit der Landschaft war allgegenwärtig. Die schneidigen lettischen Schützen brachten sie vom „neutralen Gebiet“ zwischen ihren Schützengräben und den deutschen Stellungen mit. Natürlich war es Nachtarbeit; tagsüber durften sie die Gräben nicht verlassen. Und die Nacht schien wie geschaffen für allerlei Streiche. Ein schlauer Schütze bastelte aus dem Zylinder einer deutschen Handgranate eine Blumenvase. Er liebte Poesie, in Büchern wie im Leben. Aber so sind die Letten eben – sie wissen, wie man selbst in den dunkelsten Stunden des Lebens Schönheit findet oder sie erschafft. Unverwelkliche Blumen in den Schützenunterständen und unvergängliche Lieder selbst in den verzweifeltsten Momenten. Für die Schützen war der Krieg eine heilige Pflicht, und selbst der deutsche Sturm konnte die Freude in ihren Herzen nicht trüben. Morgens und abends, wenn der Lärm der Schlacht meist nachgelassen hatte, sangen die Schützen Volkslieder. Die Deutschen antworteten mit ihren Kriegsliedern. Oft spielten beide Seiten Mandoline oder Gitarre in den Schützengräben. Es schien, als wären sie keine Feinde mehr, sondern Freundschaft zwischen den beiden Gegnern entstanden. Manchmal herrschten morgens und abends friedlichste Beziehungen zwischen uns und dem Gegner, doch mit Einbruch der Dämmerung begannen gegenseitige Kämpfe bis zum Tod. Selbst die stille, große, friedliche lettische Bestimmung, die schwarze Düna, durfte nicht ruhig dahinfließen. Oftmals schossen hohe Wassersäulen, von deutschen Granaten heraufbeschworen, in ihr empor, deren Spritzer zurück in die Düna stürzten und ihre Ruhe störten. Hunderte toter und betäubter Fische schwammen flussabwärts. Die Schützen versuchten, dies zu nutzen und fingen die „betäubten“ Fische flussabwärts der Feuerstellung in der Düna. Nach einer erfolgreichen Jagd aßen sie die Fischsuppe, die ihnen die Deutschen bereitstellten. Die Jagd war besonders erfolgreich, wenn eine Pontonbrücke am Unterlauf der Düna errichtet worden war. So gefährlich und tödlich der deutsche Artilleriebeschuss während des Beschusses physisch und psychisch auch war, so bot er den Schützen in seinen Pausen doch angenehme Momente. Bis zum Als das Feuer im Laufe des Tages nachließ, gingen alle in die Schluchten, um nach den Aluminium- und Kupferköpfen deutscher Granaten zu suchen. Oft stürmten die Schützen in Scharen zu den Einschlagstellen. Wozu? Doch wer die Zeit der Schützen miterlebt hat, wird sich erinnern, dass fast alle Schützen, die für ein paar Tage Urlaub in Riga oder bei Verwandten landeten, diese seltsamen, weißen Ringe an den Fingern trugen. Sie waren eine Erfindung der Schützen. Das Aluminium wurde von den Geschossköpfen entfernt und eingeschmolzen. Die gewünschte Form wurde zuvor aus Gips ausgeschnitten und dann gegossen! Die Schützen fertigten Ringe in verschiedenen Formen an: Ringe mit einem Herz, einem ausdrucksstarken Stern, manche Ringe hatten sogar eingeschmolzene Granatsplitter usw. Die Schützen liebten diese Ringe, weil sie sie lebhaft an alles erinnerten, was sie auf der Todesinsel erlebt hatten. Die Schützen gossen nicht nur Ringe, sondern stellten auch Löffel, kleine Figuren und andere interessante Dinge aus demselben Material her. Mundstücke wurden aus den Kupferrohren von Handgranatenbrennern gefertigt, indem man die Explosionsluft entfernte. Quecksilber von ihnen. Natürlich kam es auch zu Unfällen, und der eine oder andere Schütze verlor nicht nur Finger und Hände, sondern auch sein Leben. Alle nicht explodierten deutschen Handgranaten und Granatsplitter wurden nach und nach demontiert, entladen und zu Vasen oder Schöpfkellen verarbeitet. Die meisten davon wurden als Erinnerungsstück vom Schlachtfeld an die Angehörigen nach Hause geschickt. Für die Schützen war dieser Krieg ein heiliger Krieg, und alles, was mit den Schlachten zu tun hatte, wurde heilig und der Erinnerung würdig. So lebhaft und zuversichtlich die Schützen auch waren, weil sie fest an ihren Sieg glaubten, so sorgfältig kümmerten sie sich auch um die Pflege und Aufbewahrung ihrer Waffen, die ebenfalls von großer Bedeutung im Leben eines Soldaten war. Die Hauptwaffe der Schützen war das Gewehr. Es war ihr Freund in guten wie in schlechten Zeiten. Nicht umsonst nannten die Schützen es in ihren Briefen ihre „Frau“ und „Braut“. Auf der Insel des Todes konnte man die Schützen dabei beobachten, wie sie ihre Gewehre reinigten und ihre Kleidung, Schuhe usw. verbrannten. Wenn die Gewehre Nachdem sie abgewischt worden waren, wurden sie in speziell dafür vorbereiteten aufrechten Gestellen direkt in den Schützengräben platziert, damit sie jederzeit griffbereit waren und ohne Verzögerung eingesetzt werden konnten.

Erzähler: žurnālists Jānis Poriets
Verwendete Quellen und Referenzen:

http://latviesustrelniekusaraksts.lv/Kaujas_darbiba/Book_2.html (abgerufen am 20.07.2021)

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Zugehörige Objekte

Die Todesinsel

Die heute aus mehreren kleinen Inseln bestehende Inselgruppe liegt inmitten der Daugava, an der Südseite des heute durch die Staumauer des Rigaer Wasserkraftwerkes gebildeten Stausees, in der Nähe von Daugmale. Die sog. Todesinsel war einer der schrecklichsten und legendärsten Schauplätze des Ersten Weltkriegs. Als sich die russische Armee 1915 auf dem Rückzug aus den lettischen Regionen Kurland und Semgallen befand, blieben einige Einheiten am linken Ufer der Daugava zurück, wo sie Abwehrstellungen gegen die deutsche Armee bezogen. Eine Brücke verband beide Flussufer. Hier kam es zu einem der größten Giftgaseinsätze auf dem Gebiet des heutigen Lettland. Die lettischen Soldaten nannten den Frontabschnitt „Todesinsel“, während er für Soldaten anderer Nationen die „Hölle“ war. Die Stellungen auf der Todesinsel waren von strategischer, aber auch symbolischer Bedeutung. Für die lettischen Soldaten war es ein Teil des deutsch besetzten Kurland. Die Kämpfe fanden an den Ufern der Daugava in der Nähe von Ikšķile (dt. Üxküll) statt und wurden im historischen Bewusstsein mit den Abwehrkämpfen der Urahnen gegen die deutschen Kreuzzüge assoziiert. Heute ist die Stätte per Boot erreichbar. Nur ein Teil der Inseln – das nicht vom Stausee überflutete Gebiet – kann besichtigt werden. Ein von E. Laube entworfenes Denkmal ist erhalten geblieben. Einige Abschnitte der Abwehrstellungen wurden rekonstruiert. Am Ufer der Daugava am Kābeļkalns in Ikšķile gibt es eine Infotafel. Erst nach der Aufstauung der Daugava im Rahmen des Baus des Rigaer Wasserkraftwerkes entstanden die heutigen Inselchen.

Zentrum für Kulturerbe in der Gutsanlage „Tīnūžu muiža”

Das Zentrum für Kulturerbe im Landgut „Tīnūžu muiža“ befindet sich im Dorf Tīnūži im Landkreis Ogre, je 7 km von Ogre als auch Ikšķile entfernt. Die ersten schriftlichen Quellen über das Landgut stammen aus dem 16. Jahrhundert. Es verfügte bis Mitte des 18. Jahrhunderts nur über bescheidene Bauten, entwickelte sich aber im Laufe der Zeit zu einer Wirtschaft. In der Umgebung kam es während des Ersten Weltkrieges zu Kämpfen zwischen der russischen und der deutschen Armee. Auch die lettischen Schützen waren involviert. Während des Unabhängigkeitskrieges bildetet der Gutshof Tīnūži das Hauptquartier des 1. Infanterieregiments Valmiera der lettischen Armee. Auch gepanzerte Fahrzeuge waren hier stationiert. 1932 wurde das Gut dem Lettischen Verband der Kriegsinvaliden übergeben, der hier eine Wohn- und Betreuungsstätte für Kriegsveteranen einrichtete. 1943 während des Zweiten Weltkrieges wurde der deutsche Frontaufklärungstrupp FAT 212 aus Estland nach Gut Tīnūži verlegt. Diese Front-Einheit der deutschen Abwehr bildete hier auch lettische Soldaten für den Kampf gegen die Rote Armee aus. Zum Ausbildungsprogramm gehörten Aufklärung, Guerillakampf und Sabotageakte. Das Herrenhaus des Landgutes Tīnūži wurde beim Vormarsch der Roten Armee auf Riga zerstört. Heute beeindruckt die stille Landschaft mit ihren historischen Gebäuden am Fluss Mazā Jugla. Das Zentrum für Kulturerbe „Tīnūžu muiža“ zeigt Ausstellungen zu historischen Ereignissen und über die lettischen Schützen.