Der Untergang lettischer Handelsschiffe während der Evakuierung Tallinns zu Beginn des Zweiten Weltkriegs

Als die deutschen Truppen sich Tallinn rasch näherten, wurde eine großangelegte Marineoperation zur Evakuierung der Stadt eingeleitet. Im Zuge dieser Operation kamen zahlreiche Schiffe und ihre Besatzungen sowie die Menschen an Bord durch Minenfelder, Luftangriffe und Küstenartilleriefeuer ums Leben.

Einst war das gesamte Grenzgebiet am Finnischen Meerbusen in Estland eine Sperrzone, die von sowjetischen Grenzsoldaten streng bewacht wurde. Die Überreste der Grenzgebäude sind im Wald noch deutlich sichtbar, und auf Kap Juminda wurde eine etwa drei bis vier Meter lange Nachbildung einer Rakete aus Metall als Sehenswürdigkeit aufgestellt. Offenbar versuchte die UdSSR mit solchen Attrappen feindliche Spionageflugzeuge zu täuschen, die während des Kalten Krieges mit Kameras ausgestattet waren und die Geheimnisse der Küstenverteidigung ausspionieren wollten. Alle 20 Kilometer entlang der Küste befanden sich Grenzposten, in denen jeweils etwa 30 Grenzsoldaten lebten. Nachts mussten sie in voller Schutzausrüstung die Küste patrouillieren, und nicht jeder konnte die obligatorischen 15 bis 20 Kilometer zum nächsten Posten und zurück zu Fuß zurücklegen. Für viele war dieser Dienst und die nächtlichen Patrouillen zu anstrengend, sodass die körperlich Schwächeren vom Dienst befreit wurden. Das erzählt uns ein Mann, der einst hier Dienst tat und die Grenze bewachte.

An der Nordspitze der Halbinsel Juminda wurde ein massiver Granit-Gedenkstein errichtet, der an die tragischen Ereignisse zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erinnert. Auf ihrem Rückzug musste die sowjetische Armee eine großangelegte Marineoperation durchführen: 190 Schiffe mussten vom bereits belagerten Tallinn aus Menschen und Ausrüstung evakuieren, die nicht der rasch angreifenden deutschen Armee überlassen werden durften. Die Deutschen hatten diesen Rückzug vorausgesehen und gemeinsam mit den Finnen entlang der Schifffahrtsroute großflächige Minenfelder angelegt, Bomber für Einsätze im bereits besetzten Teil Estlands vorbereitet und eine 150-mm-Küstenartilleriebatterie auf der Halbinsel Juminda stationiert, um Schiffe vom Ufer aus zu beschießen. Deutsche Schnellboote und finnische Torpedoboote an der Nordküste des Finnischen Meerbusens standen ebenfalls für den Angriff bereit.

Die Evakuierung der Schiffe begann am 27. August 1941 bei sehr schlechtem Wetter. Die sowjetischen Schiffe, die von Tallinn nach Kronstadt unterwegs waren, wurden von den vereinigten deutschen und finnischen Streitkräften aus der Luft und von See angegriffen und vom Ufer aus mit Artillerie beschossen. Aufgrund schwerer Verluste stellte der Konvoi nachts wegen der Minengefahr seine Fahrt ein. Am nächsten Morgen nahmen die Schiffe ihre Fahrt wieder auf, und die Angriffe auf sie flammten erneut auf. Kriegsschiffe mit stärkeren Maschinen versuchten, so schnell wie möglich unter den Schutz der Kronstädter Küstenbatterien zu gelangen, und tatsächlich blieb nur eine kleine Anzahl von Patrouillenbooten zurück, um den vergleichsweise langsamen Handelsschiffkonvoi zu sichern. Einige Seefahrtsexperten vermuten, dass ein Großteil der Kriegsschiffe einfach floh, um ihr eigenes Leben zu retten, und die langsameren Handelsschiffe ihrem Schicksal überließ.

Innerhalb von zwei Tagen sanken 34 Schiffe, Handels- und Kriegsschiffe, vor der Halbinsel Juminda. Viele von ihnen waren erst kürzlich unter der Flagge des unabhängigen Estlands oder Lettlands gefahren. Die ehemaligen lettischen Handelsschiffe Everita, Kalpaks, Ausma, Atis Kronvaldis und Skrunda fanden hier ihre letzte Ruhestätte. Auch der mächtige Eisbrecher Krišjānis Valdemārs liegt noch immer in 100 Metern Tiefe, in Dunkelheit und Stille. Die genaue Position des Wracks ist mittlerweile bekannt. Während der zweitägigen Evakuierung Tallinns über See starben rund 12.400 Menschen in den Gewässern des Finnischen Meerbusens. Einige Historiker halten dies für eine der größten Tragödien auf See im Zweiten Weltkrieg. Man weiß heute, dass im Zweiten Weltkrieg rund 60.000 Seeminen im Finnischen Meerbusen platziert wurden.

Auf einer separaten Steintafel prangt neben anderen Schiffsnamen der Name des Vorkriegs-Flaggschiffs der lettischen Marine, der Virsaitis. Sie sank vor der Küste Finnlands während der Evakuierungsoperation Hanko Ende November/Anfang Dezember 1941. Das Schiff lief offenbar auf eine Mine und sank. Der genaue Untergangsort ist nun, mehr als ein Jahr nach der Juminda-Tragödie, bekannt.

Diese Geschichte aufegschrieben: Normunds Smaļinskis
Verwendete Quellen und Referenzen:

Quelle – Zeitschrift „Jūrnieks“, Maritime History Yearbook 2018