Über das Eckhaus

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Eckhaus. Quelle: Lettisches Besatzungsmuseum „Eckhaus“.

Die Erzählerin beschreibt ihre ersten Eindrücke bei ihrer Ankunft im Corner House. Die Erinnerungen offenbaren die harten Lebensbedingungen der Gefangenen.

„(…) Sie brachten mich in einen dieser Räume mit gefliesten Wänden und gefliestem Boden. Ich war furchtbar nervös, vor allem, weil mich dort eine korpulente Russin erwartete, würde ich sagen, wegen ihres Gesichts und ihrer Kleidung… Sie trug eine Uniform mit blauer Mütze und rotem Stern und diesem grünen Turnmantel. Ich sehe es noch genau vor mir. Ein Hausgewand um sie gebunden, ein Messer im Mund und die Hände an den Seiten. Jeder Mensch ist psychisch schockiert, wenn er so etwas sieht. Man hat Angst, man weiß nicht, was mit einem geschehen wird. Sie sagt: „Ausziehen“, ich ziehe meinen Mantel aus, „Ausziehen“, ich ziehe ihn weiter aus, „Ausziehen“, und so weiter, bis nichts mehr übrig ist. „Mund auf, hocken, beugen!“ Dann sind alle Gummibänder ab, Reißverschlüsse, Knöpfe, ab, die Schnürsenkel meiner Stiefel sind ab, meine Haare fallen auseinander. Alles rutscht mir herunter, und ich klammere mich fest.“ (..)”

„Dann brachten sie mich weiter in Zelle Nr. 28 im ersten Stock. Sie öffneten die Tür und ließen mich hinein. Fünf Frauen saßen dort mit ihren Taschen, nur mit BH und Höschen bekleidet. Ich sagte „Guten Abend“ und fragte, ob es hier eine Sauna gäbe. Sie lachten mich aus und antworteten, dass es hier eine Zelle gäbe. Die Hitze sei so groß, dass man dort keine Kleidung tragen könne. Unter ihnen war Dr. Vernere aus Liepāja. Sie war im siebten Monat schwanger. Sie sagte sofort zu mir: „Wissen Sie, wir sind so viele hier, jeder hat seinen eigenen Fall, und wir erzählen einander nichts darüber. Sie dürfen mit niemandem über Ihren Fall sprechen und sich keine Hoffnungen machen. Vielleicht versprechen sie Ihnen Freilassung, wenn Sie jemanden verraten. Aber hier kommt niemand raus. Das Einzige, was Sie tun können, ist, die Menschen draußen zu schützen. Verraten Sie sie nicht, nennen Sie ihre Namen nicht. Das ist Ihre einzige Möglichkeit.“

„(…) Nachts musst du auf dem Rücken schlafen, das Licht darf dir nicht in die Augen scheinen, nichts darf auf deine Augen gelegt werden. Wenn du dich auf die Seite drehst, kommen sie und wecken dich auf. Sie müssen deine Augen sehen können. Ich glaube, ich werde diese Nacht irgendwie überstehen, aber die nächste, nichts. Eins, zwei, drei…“ (…)

„(…) Nur einer der Zellengenossinnen wurde Wasser gegeben, weil sie im siebten Monat schwanger war. Als sie den anderen ein Glas Wasser reichte, riss ihr der Wärter es aus der Hand und schüttete es weg. Am Morgen gaben sie ihr heißes Wasser zu trinken, aber da es im selben Topf gekocht worden war, in dem auch Fischsuppe aus der Dose zubereitet wurde, roch es schlecht. (…)“

Erzähler: Mirdza Barbaka 1946. gadā tika notiesāta kā teroristu organizācijas dalībniece (Par atbalstu Nacionālajiem partizāniem).; Diese Geschichte aufegschrieben: Latvijas Okupācijas muzeja darbinieki
Verwendete Quellen und Referenzen:

Erinnerungen, transkribiert von der Plattform „youtube“: Videotitel „Corner House Testimonies“ (20. Juli 2021).

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Zugehörige Zeitleiste

Zugehörige Objekte

Ausstellung zur Geschichte des KGB in Lettland im sog, “Eckhaus”

Das Gebäude der ehemaligen „Tscheka“ – des Staatssicherheitskomitees der UdSSR (später KGB) – in Riga ist heute öffentlich zugänglich. Hier wurden lettische Bürger von im Volksmund so genannten Tschekisten festgehalten, verhört und umgebracht, weil sie das Besatzungsregime als Gegner betrachtete. In dem Gebäude ist heute eine Ausstellung des Lettischen Okkupationsmuseums über die Aktivitäten des KGB in Lettland untergebracht. Es werden Führungen durch Zellen, Gänge, Keller und den Innenhof angeboten. Das Haus wurde 1911 erbaut und zählt zu den schönsten Bauten in Riga. Im Volksmund als „Eckhaus“ bekannt, wurde es zum schrecklichen Symbol des sowjetischen Besatzungsregimes in Lettland - eine der Stützen der Sowjetmacht. Die Tscheka nutzte das „Eckhaus“ während der sowjetischen Besatzung 1940/41 und dann erneut von 1945 bis 1991. Zehntausende Einwohner Lettlands waren von politischer Verfolgung direkt betroffen. Das harte Vorgehen gegen Gegner der sowjetischen Herrschaft wurde auch nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Nach Stalins Tod änderten sich die Methoden des KGB unwesentlich. An die Stelle von physischer Folter trat nun Psychoterror. Die Mehrheit der Tscheka-Agenten bestand aus ethnischen Letten (52 %). Russen bildeten mit 23,7 % die zweitgrößte Gruppe. 60,3 % der Mitarbeiter gehörten nicht der Kommunistischen Partei an, 26,9 % verfügten über einen Hochschulabschluss. Das System war darauf ausgerichtet, die lokale Bevölkerung einzubinden und so die Kontrolle über die Gesellschaft zu erlangen. Die Korrespondenz und die Akten der KGB-Mitarbeiter befinden sich heute in Russland. Sie sind für lettische Behörden und Historikern nicht zugänglich.