Ende des Sommers 1944 in Kaunas

Es erzählt die Geschichte des Vormarsches der Roten Armee auf Kaunas und des Rückzugs der deutschen Armee im Sommer 1944.

Nachdem die Front das natürliche Hindernis in unserem Gebiet – den Nemunas – erreicht hatte, stabilisierte sie sich etwas. Im Allgemeinen rückten die Bolschewiki recht schnell vor. Die Deutschen, die mehrere schwere Schlachten bei Minsk verloren hatten, verfügten nun nicht mehr über die nötigen Reserven, um die entstandenen Lücken zu schließen. In unserem Abschnitt – Prienai-Kruonis-Pakuonis-Kaunas – agierten die deutschen Streitkräfte sehr flexibel: eine Flakbatterie nach der anderen, hier und da einige Panzer und Maschinengewehrnester. Nach mehrtägigen Kämpfen errichteten die Bolschewiki eine Brücke bei Rumšiškės. Auch die ersten bolschewistischen Infanterie- und Panzereinheiten konnten vorrücken. Die Deutschen zerstörten die Brücke. Es entbrannte ein heftiger Kampf mit den vorgerückten Einheiten. Die bolschewistischen Panzer wurden von den deutschen Tigern spurlos vernichtet. Die Infanteristen der Roten Armee bewiesen außerordentlichen Mut. Mit bereit zum Werfen von Handgranaten griffen etwa ein Dutzend Soldaten die Panzer an und riefen dabei donnernd: „Vperiod, ura“ (Vorwärts, ura).

Der Roten Armee gelang es, den Flugplatz Pociūnai zu besetzen. Eine russische Einheit erreichte sogar das Dickicht Bačkininkai. Dort umzingelten die Deutschen sie und vernichteten sie mit Flammenwerferfeuer. So wurden die bolschewistischen Einheiten, die die erste Brücke überquert hatten, liquidiert. Die Bolschewiki brachten Katjuschas (Kanonen) ans rechte Ufer der Nemunas und zwangen die Deutschen unter heftigem Feuer zum Rückzug aus ihren Stellungen nahe der Nemunas. Man hatte den Eindruck, die Deutschen bereiteten sich bereits auf den Abzug vor; diesmal kannte ihre Willkür keine Grenzen. Ohne jeden Grund und Verdacht setzten sie verlassene Häuser mit Panzergeschossen in Brand, zerstörten Zäune und Bäume, verwüsteten Gärten und entwurzelten Obstbäume, Sträucher und Bienenstöcke. Dies hatte nichts mit den Pflichten eines ehrenhaften Soldaten zu tun, sondern glich einem grausamen Rachefeldzug.

Was sie während der dreijährigen Besatzung nicht hatten mitnehmen können, wollten sie nun eilig vor Ort vernichten, da ihnen die Kraft fehlte, es zu ergreifen und abzutransportieren. Die Felder waren voller Schweine, die die Deutschen geschlachtet hatten. Aus irgendeinem Grund aßen sie nun nur noch Schinken. Das übrige Fleisch, obwohl es bereits stark roch, ließ man den russischen Einheiten zum Verzehr da.

Am 24. Juli gelang es den Bolschewiki erneut, eine Pontonbrücke über die Nemunas zu errichten, diesmal einige Dutzend Zentimeter unter Wasser, damit feindliche Flugzeuge sie nicht bemerkten. Am 25. Juli waren die Bolschewiki bereit, die Nemunas erneut zu überqueren. Gegen zehn Uhr morgens flog eine Staffel von zehn deutschen Flugzeugen auf die Nemunas zu. Sie gerieten in heftiges russisches Flakfeuer, und schwere russische Zerstörer eilten ihnen sofort zu Hilfe. Die deutsche Staffel, die ihr Ziel (die neue Brücke) nicht erreicht und zwei Flugzeuge verloren hatte, musste sich zurückziehen. Bolschewistische Sturmtruppen begannen, deutsche Tiger-Panzer anzugreifen. Nach gut einer Stunde Kampf traten die Deutschen den Rückzug an. Sie wurden weiterhin von den Russen aus der Luft verfolgt. Die Bolschewiki begannen, die Nemunas massenhaft zu überqueren, einige auf der Brücke, andere in Booten, wieder andere auf einfachen Baumstämmen. In ihrer Eile sanken viele auf den Grund, selbst ohne getroffen worden zu sein. An der Front waren alle halb betrunken, zerlumpt, ungewaschen und mit deutschen wie russischen Waffen bewaffnet. Sie hatten keine eigenen Küchen und aßen von den von den Deutschen zurückgelassenen Lebensmitteln. Unter ihnen befanden sich auch Frauen, die jegliche Weiblichkeit verloren zu haben schienen: Sie fluchten, stahlen und kannten keine Scham, genau wie alle Rotarmisten. Doch alle wirkten überaus enthusiastisch, berauscht von ihren jüngsten Siegen.

Die Deutschen bereiteten ihren Abzug aus Kaunas vor. Sie sprengten zahlreiche Gebäude, die zuvor Truppen beherbergt hatten oder von militärischer Bedeutung waren. Zu diesen zerstörten Gebäuden gehörten das Gebäude des Physikalisch-Chemischen Instituts in Aleksotas, die Damijonaitis-Schule (in der Dariaus-Girėno-Straße), das dort befindliche Klostergebäude, die Bahnhofsgebäude, die Schaltanlage des Kraftwerks, das angrenzende Vailokaičiai-Haus, die Telegrafen- und Telefonstation, die Werkstätten des Bahnbetriebswerks, das Kraftwerk Petrašiūnai und eine ganze Reihe weiterer, weniger bedeutender Gebäude. Auch die Lebensmittelfabrik wurde in Brand gesteckt. Riesige Rauchwolken hingen über Kaunas, legten die schönsten Gebäude in Schutt und Asche und zeugten vom letzten Verwüstungsfeldzug der deutschen Besatzer.

Auf dem Land kursierten verschiedene Gerüchte über den bevorstehenden Ausbruch des bolschewistischen Terrors. Manche Gerüchte waren besorgniserregender als andere. Einige besagten, dass alle Einwohner, die versuchten, den von den Deutschen auferlegten Verpflichtungen nachzukommen, erschossen würden; andere, dass alle Männer, die sich nicht in den Reihen der roten Partisanen befanden, erschossen würden.

Die dritte, gemäßigtste Gruppe begnügte sich damit, zu verkünden, dass nur diejenigen erschossen oder verbannt würden, die während der deutschen Besatzung in staatlichen Institutionen gedient hatten. Um dies zu erleben, riskierten Anwohner, die Frontlinie zu überqueren und sich von der Wahrheit der Gerüchte zu überzeugen. Nach ihrer Rückkehr versicherten sie ihnen, die Russen seien gar nicht so schlimm, im Gegenteil sogar recht freundlich und zuvorkommend, nur sehr erschöpft. Doch selbst nach diesen Zusicherungen blieben die Anwohner gleichgültig. In der Nacht zum Samstag, als der Wechsel eines „Befreiers“ unausweichlich schien, tauchten alle unter, vergruben ihre Habseligkeiten, verließen ihre Hütten und schliefen fortan in Gruben und provisorischen Bunkern.

Verwendete Quellen und Referenzen:
  • Juozas Daumantas, Partisanen, Vilnius, 1990.